weltwärts Freiwilligendienst in Benin – Alles über Benin und meine Erfahrungen
Elisabeth M. begann am 2. September 2024 ihren neunmonatigen weltwärts Freiwilligendienst in Benin. Hierhin hat es sie verschlagen, da sie einen Freiwilligendienst mit dem weltwärts-Programm machen wollte – ein Programm für kulturellen Austausch, das vom BMZ gefördert wird. Im folgenden berichtet sie allumfassend von ihren bereits gesammelten Erfahrungen – sowohl aus ihrem Projekt als auch aus verschiedensten Bereichen ihres Alltages.
Wo genau lebe ich?
Benin (oder offiziell: Republic of Benin) ist ein kleines Land im Westen Afrikas. Es zählt rund 13 Millionen Einwohner*innen. Die größeren Städte liegen alle im Süden in Atlantik Nähe: Cotonou, Porto-Novo und Abomey-Calavi. Benin ist seit 1960 unabhängig und seit den 90ern ein stabiles demokratisches Land. Ich lebe in Cotonou, der größten Stadt Benins, die direkt am Atlantik liegt. Die offizielle Hauptstadt ist zwar Porto-Novo (nur ca. 30km von Cotonou entfernt), Regierungssitz sowie wirtschaftliches Zentrum ist dennoch Cotonou. Die offizielle Amtssprache ist Französisch, die meist gesprochene Sprache jedoch eindeutig Fon, eine der vielen regionalen Sprachen Benins.
Meine Gastfamilie
Familiäre Bezeichnungen
Meine Gasteltern heißen Delphine und Eloi und sind beide schon über 70 Jahre alt. Da meine Gasteltern Großeltern sind, werden sie Mémé und Pépé genannt (das Pendant zu Oma und Opa). So werden sie nicht nur von ihren Enkeln und Enkelinnen genannt, sondern von allen. Es kann sich also zum Beispiel ereignen, dass eine ältere Frau an uns vorbeiläuft und meine Gastmutter mit „Bonjour Mémé“ grüßt, und diese mit „Bonjour Mémé“ antwortet.
Frauen mittleren Alters werden „Maman“ („Mama“ ausgesprochen) oder „Tanti“ genannt. Die Bezeichnung für jüngere Frauen ist „Tata“ (= große Schwester). Ich selbst habe hier viele Namen: Meine Familie nennt mich „Liso“, in der Schule bin ich „Tanti Elisabeth“ und die jüngeren Enkel*innen von Mémé und Pépé nennen mich „Tata“. Nicht zu vergessen „yovo“: Das ist der beninische Begriff für hellhäutige Menschen, mit dem ich von Fremden auf der Straße angesprochen werde.
Haus und Angestellte
Wir wohnen in einem sehr schönen Viertel von Cotonou namens Fidjrossé, das etwas außerhalb des lauten Zentrums liegt, 15 Minuten zu Fuß vom Strand entfernt. Das Haus meiner Gastfamilie liegt in einer kleinen Straße unweit vom Projekt entfernt. Es ist ein Bungalow und sowohl mein Zimmer als auch das Wohnzimmer (das aber nie benutzt wird, weil wir immer draußen sind) führen auf die Terrasse und den Hof.
Weiter hinten im Hof wird auf Kohlen gekocht und abgewaschen. Theoretisch gibt es eine Küche im Haus, aber Mémé macht lieber alles draußen, deswegen wird auch draußen gekocht. Sie kocht aber eigentlich nicht so viel.
Darum kümmern sich Gracia und Maman Mimi. Gracia ist 15 Jahre alt und als Hausmädchen hier angestellt. Ihre Familie kommt aus Togo und hat sie nach Cotonou zum Arbeiten geschickt (das Geld geht an die Familie – dieses Prinzip ist hier leider nicht unüblich). Bald soll sie eine Ausbildung anfangen.
Für mich ist sie wie eine Schwester, auch wenn unsere unterschiedlichen Plätze in der “Haus-Hierarchie” etwas hinderlich für eine gute Beziehung sind. Sie und Maman Mimi, eine 45-jährige, die ebenfalls bei uns angestellt ist, essen nicht mit Mémé, Pépé und mir zusammen. Ich sitze gerne mit Gracia und Maman Mimi im Küchenbereich des Hofs und helfe ihnen beim Kochen, oder schaue einfach nur zu.
Essen zu Hause
Aus Maismehl und Wasser machen wir zum Beispiel Pâte, das von der Konsistenz ähnlich zu Kartoffelbrei ist. Abends gibt es oft Hablo, ein Art Reiskuchen. Wir essen auch Reis, Spaghetti, Couscous und viel Salat. Meistens wird (gestampftes) Pigment in die Soßen untergemischt, was sie entsprechend schärft. Die einzigen tierischen Produkte, die es zu den Mahlzeiten gibt, sind Fisch, gekochte Eier und/oder „Frommage africaine“. Seit ich hier bin, nehme ich quasi keinen raffinierten Zucker mehr zu mir, weil wir in Ermangelung eines Ofens weder backen noch Teigwaren oder Süßigkeiten kaufen. Dafür aber jede Menge Fruchtzucker! Papaya, Orangen, Mangos…
Mémé, Pépé und Besuch
Mémé und Pépé sind beide in Rente. Pépé ist trotzdem noch sehr aktiv in unterschiedlichen Vereinen und ist oft unterwegs, während Mémé die ganze Zeit Zuhause ist. Langweilig wird es trotzdem nie, weil sie etliche Freund*innen haben, die täglich vorbeikommen. Unsere Hoftür öffnet sich quasi im 10-Minuten Takt. Ohne zu klopfen gehen Menschen ein und aus, verweilen für fünf oder zehn Minuten und unterhalten sich mit Mémé und Pépé auf Fon.
Fon klingt in meinen Ohren in etwa genauso unverständlich wie Chinesisch. Ich finde es schade, dass ich durch die Sprachbarriere alltägliche Gesprächsthemen nicht mitbekomme. Mein Wortschatz erweitert sich Woche für Woche immerhin ein kleines Stück: “afon gan dia?” heißt zum Beispiel “Guten Tag, wie geht’s dir?”. Darauf antwortet man mit “Ähh, afon gan di” (Ja, mir geht’s gut).
Neben Freund*innen kommen auch häufig Verkäuferinnen zu uns. Sie tragen ihre Lebensmittel in einer Schale auf dem Kopf und laufen so von Haus zu Haus. Eine Frau verkauft Hablo, eine andere Orangen, eine bringt uns einmal im Monat Erdnüsse vorbei… Meine Beziehung zu Mémé und Pépé ist familiär. Sie haben mich als Tochter in ihre Familie aufgenommen und behandeln mich auch so.
Eigenes familiäres Restaurant
Zum Haus gehört ein Restaurant, das Mémés und Pépés Tochter Maman Christelle betreibt. Es besteht aus einer Restaurantterrasse vor dem Haus und einem Speiseraum auf der anderen Seite des Hofes gegenüber von meinem Zimmer. Nachmittags sitzt Maman Mimi am Straßenrand auf der Restaurantterrasse und frittiert auf einem großen, roten Gaskocher Teigbällchen, die „yovo dokos“ heißen. Die verkauft sie dann an Straßenkundschaft.
Abends sitzt Pépé mit seinen Freunden auf der Terrasse. Richtige Mahlzeiten werden nur selten serviert, und überhaupt gibt es nicht viel Kundschaft. Das Restaurant wird hauptsächlich für familiäre Zwecke verwendet. Maman Christelle wohnt mit ihren Kindern ein paar Straßen weiter. Sie selbst kommt jeden Tag vorbei, weil ihr das Restaurant gehört, ihre Kinder sehe ich leider seltener.
Wasser, Strom und Internet
Das Wasser, was wir zum Abwaschen und zum Wäsche waschen verwenden, holen wir aus dem Brunnen auf unserem Hof. Zum Duschen nehmen wir Wasser aus dem Hahn. Allerdings können wir nicht kontrollieren, wann das Wasser angestellt wird. Zwischen Mitternacht und 5 Uhr morgens haben wir immer fließend Wasser, und manchmal auch nachmittags. (Das ist eine Besonderheit bei uns, andere Familien haben durchgängig fließend Wasser und stellen es selbstständig an und ab.) Dann füllen wir unseren Eimer in der Dusche auf, aus dem wir dann Wasser zum Händewaschen und Duschen schöpfen. Strom gibt es durchgängig. Stromausfälle sind – zumindest in unserem Viertel – selten. Wlan-Router gibt es hier nicht, dafür sehr gut funktionierendes Internet. Jeden Monat lädt man neues Guthaben auf seine
SIM-Karte. Ich verbrauche ca. 15 GB pro Monat.
Das Projekt
Worum geht es?
Mein Projekt heißt “Messagers de Paix”, wird aber von allen das “Centre” genannt und besteht aus einem Kinderheim sowie einer Alternativschule. Die 24 Jungen und Mädchen, die im Centre leben, sind keine Waisen, sondern kommen aus schwierigen familiären Situationen. Teilweise sind sie aufgrund dessen von Zuhause abgehauen oder wurden sogar von ihren Familien selbst auf die Straße gesetzt.
Grundsätzlich ist das Ziel, dass die Kinder irgendwann wieder zurück in ihre Familien kehren können. Dazu leisten der Psychologe Bernard und der Direktor Francis viel Sensibilisierungsarbeit. Ein Mädchen ist zum Beispiel geflohen, weil sie zwangsverheiratet werden sollte. Während sie jetzt hier im Centre lebt, wird ihre Familie und das gesamte Dorf zum Thema Zwangsheirat sensibilisiert.
Aufbau des Centre
Die Alternativschule besteht aus drei Klassen: Niveau eins, zwei und drei. Die Kinder sind nicht nach Alter eingeteilt, sondern nach Können. Das Motto der Schule lautet “Une seconde chance d’aller à l’école” – eine 2. Chance, um in die Schule zu gehen. Hier werden Kinder unterrichtet, die nicht regulär als Kleinkinder eingeschult wurden. So sind zum Beispiel im Niveau 2 die jüngsten Kinder sieben oder acht Jahre alt, die ältesten 16, 17 und 18. Das steht einem produktiven Lernen jedoch nicht im Wege: So hilft zum Beispiel die 12-jährige Zenab dem 18-jährigen Odilon mit seiner Rechtschreibung – die Kleinen haben keine Scheu vor den Großen.
Meine Arbeit
Unter der Woche sind Emily (meine deutsche Mitfreiwillige) und ich von 8 bis 13 Uhr in der Alternativschule. Wir sind nie zusammen in einer Klasse und wechseln ungefähr im Zwei- Wochentakt die Niveaus. Meine Rolle ist je nach Niveau sehr unterschiedlich. In Niveau 1, wo die Schüler*innen Lesen und Schreiben lernen, habe ich die Rolle einer Lehrerin und werde sowohl vom Lehrer als auch von den Schüler*innen “La Maitresse” genannt. Ich sitze vorne mit am Lehrerpult, korrigiere viel und übernehme Teile des Unterrichts. Der Lehrer übergibt mir dann spontan das Heft und sagt zur Klasse “So, das macht jetzt die Lehrerin mit euch”. Zum Glück hat sich mein Französisch mittlerweile so sehr entwickelt, das ich das mehr oder weniger problemlos hinbekomme.
Ich leite zum Beispiel durch Aufgaben durch, mache Diktate oder erkläre im Matheunterricht wo links/rechts, vorne/hinten ist. Es macht mir großen Spaß, in Niveau 1 zu arbeiten, weil ich mich nützlich fühle und die Aufgaben gut machbar sind. In Niveau 2 sitze ich hingegen hinten in der letzten Reihe zwischen den Schulpulten und schaue einfach nur zu. Hier bin ich nicht “La Maitresse”, sondern “Tanti Elisabeth” oder “Tata”. Manchmal gibt es Matheaufgaben oder Diktate zu korrigieren, diese Aufgabe fällt dann mir zu.
Ich habe in der Schule die unterschiedlichsten Rollen, die eigentlich unmöglich unter einen Hut zu bringen sind: Auf der einen Seite unterrichte ich und gebe Noten, auf der anderen Seite sitze ich hinten mit den älteren Schüler*innen zusammen und spiele heimlich Galgenmännchen während des Unterrichts. In der Mittagspause klammern sich immer mehrere Kinder gleichzeitig an mich ran, wollen Huckepack genommen werden oder etwas spielen. Fast alle Kinder wissen mittlerweile, wo ich wohne, weil sie mich auf meinem kurzen Nachhauseweg begleiten.
Beninische Erziehungsmaßnahmen
Da ist es nicht einfach, gleichzeitig auch Autoritätsperson zu sein, zumal ich nicht über die gleichen Druckmittel verfüge wie die Lehrer*innen, die die Kinder ab und zu schlagen. Entweder mit einem Stock auf die offene Handfläche, mit der Faust auf den Kopf oder mit der Hand auf dem Rücken. Das Schlagen hat eine lange Geschichte in Benin und auch wenn es mittlerweile per Gesetz verboten ist, ist es sowohl zu Hause als auch in der Schule nach wie vor Bestandteil der Erziehung. Es wird als willkürliches Bestrafungsmittel eingesetzt. Zum Beispiel fürs Zuspätkommen, für eine nicht gelernte “Lecon”, fürs Quatsch machen…
Mich hat das am Anfang sehr mitgenommen. Zum Glück kommt es mittlerweile fast gar nicht mehr vor und es werden andere Bestrafungsmittel eingesetzt (z.B. vor der Kreidetafel vorne auf dem Boden knien, den Flur wischen oder man wird nach Hause geschickt). Beeindruckender Weise mindert das nicht die allgemein vorhandene Motivation zum Lernen und die gute Laune der Schüler*innen, vor allem in Niveau 2. Der Unterricht ist zwar frontal, gleichzeitig aber auch interaktiv. Wenn die Konzentration nachlässt, müssen alle aufstehen und wir singen ein Lied zusammen.
Arbeiten am Nachmittag
Um 13 Uhr ist der Unterricht vorbei und ich gehe nach Hause. Dort esse ich mit Mémé zu Mittag und mache eine einstündige Sièste, bevor ich um 16 Uhr nochmal für drei Stunden ins Centre, also ins Kinderheim gehe. Als erstes wecke ich die Älteren von ihrer Sièste auf (die Jüngeren gehen auf eine “normale” öffentliche Schule und haben bis 17 Uhr Unterricht). Den Nachmittag nutzen die Kinder dann für ihre Hausaufgaben.
Wir Tantis und Tontons (die Betreuer*innen) unterstützen dort, wo Hilfe gebraucht wird. Neben den älteren Tantis und Tontons, die immer hier arbeiten, gibt es Emily und mich als Freiwillige, zwei französische Praktikantinnen und mehrere beninische Psychologiestudent*innen, die ebenfalls ihr Praktikum hier machen. Dadurch sind wir eine Menge junger Leute und können teilweise sogar 1 zu 1 Betreuungen machen. Dennoch ist es nicht leicht, den vielen unterschiedlichen Bedürfnissen nachzukommen.
Das Centre ist mittlerweile ein zweites Zuhause für mich geworden und die Kinder sind mir unglaublich ans Herz gewachsen. Die Arbeit erfüllt mich sehr. Jeder Tag birgt neue Herausforderungen, aber auch neue schöne Momente voller Freude und Nähe.
Religion
Der Glaube in Benin
Die ursprüngliche Religion der Beniner*innen ist Vodoun (bzw. Vodoo). Sie wird seit dem 17./18. Jahrhundert in Benin, das damals noch das Königreich Dahomey war, praktiziert, ist aber im Kern schon wesentlich älter. In meinem Alltag ist Vodoun nicht präsent, er ist aber nach wie vor eine Glaubensrichtung, der viele Beniner*innen angehören.
Meine Gasteltern sind katholisch und gehen jeden Sonntag in die Kirche. Der Gottesdienst ist vom Ablauf fast identisch wie in Deutschland. Es gibt allerdings keine Orgel, sondern einen Chor mit einer Band. Der Pfarrer und sein Gefolge läuft also nicht zu dramatischen Orgelklängen ein, sondern zu peppigem Chorgesang, zu dem die Gemeinde klatscht und sich auf ihren Plätzen hin und her wiegt. Es ist trotzdem feierlich, nur auf eine andere, fröhlichere Art.
Laut Wikipedia sind etwa 1/4 aller Beniner*innen katholisch und etwa 1/4 Muslimisch. Der Glaube spielt hier eine sehr viel präsentere Rolle im Alltag, als ich es aus Deutschland gewohnt bin. Zum einen beten wir vor jeder Mahlzeit, zum anderen wird auch zwischendurch Jesus für alles mögliche gedankt. Alle Menschen, mit denen ich hier zu tun habe, egal ob jung oder alt, betrachten Gott wirklich als den Allmächtigen, der alles in der Hand hat. Am Anfang habe ich einfach “mitgespielt”, und alles mitgemacht, obwohl ich selber gar nicht so intensiv glaube, mittlerweile hat es aber auf mich abgefärbt und ich merke, wie ich Freude und Erdung im Glauben finde.
Gottesdienst bei uns zu Hause
Vor zwei Monaten fand Montagabend ein kleiner Gottesdienst bei uns Zuhause auf dem Hof statt. Mémé ist nämlich in einer Betgruppe, die sich regelmäßig unter der Woche trifft und Gottesdienste Zuhause abhält. Es wurden 40 Plastikstühle auf den Hof gestellt, und auf der Terrasse wurde ein Altar aufgestellt, richtig amtlich mit Kreuz und Marienstatue. Ab 17 Uhr trudelten Menschen ein, die das Rosenkranzgebet auf Fon beteten. Um 19 Uhr begann der Gottesdienst.
Genau zu Beginn fiel der Strom aus. Statt von grellen Lampen wurde der Hof von warmen Kerzenlicht erleuchtet, was der Atmosphäre viel mehr entsprach, wie ich fand. Pépé las die Lesung, der Pfarrer dann (mit Hilfe meiner Stirnlampe) das Evangelium. Der Rest des Gottesdienstes wurde auf Fon abgehalten. Ein paar Frauen sangen während des Gottesdienstes (zum Chor gehörte auch die Frisörin von gegenüber). Der Gesang klingt sehr besonders. Ein wenig monoton, aber das macht ihn so schön. Ich kann es gar nicht so gut beschreiben. Auf jeden Fall erfasste mich eine tiefe Ruhe, als ich ihn hörte.
Markt
Vor einem Monat war ich mit Pépé und Mariam, einer anderen Freiwilligen, auf dem größten Markt von Cotonou namens “Marché du Dantopka”. Der ist so riesig und verwinkelt, dass man seine Größe im Gewimmel gar nicht erfassen kann! Dicht an dicht stehen Stände, ein schmaler Gang führt zwischen sie hindurch. Fast jeder dritte oder vierte Stand verkauft Stoffe, sogenannte Pagne (pa-in ausgesprochen). Es war nicht einfach, sich für einen zu entscheiden! Die Auswahl ist überwältigend und die Stoffe sind so bunt, dass ich mir oftmals nicht vorstellen kann, sie zu tragen – auch wenn ich sie immer toll finde, wenn ich sie an anderen Menschen sehe. Das ist vermutlich Gewöhnungssache.
Die Händler*innen verkaufen 6m des Stoffes am Stück, und schneiden nicht, wenn man weniger möchte. Ich habe für meine sechs Meter Stoff 9000 CFA bezahlt, das sind ungefähr 13 Euro. Es gibt aber auch weitaus billiger Stoffe für 2000 oder 3000 CFA (3-5 Euro). Eines Nachmittags kam dann die Schneiderin bei uns vorbei, hat mir verschiedene Modelle zur Auswahl gezeigt und meine Maße genommen und drei Tage später war das Kleid fertig! Die Schneiderin hat nochmal 3.000 CFA bekommen, also 4,50 Euro. Aus den restlichen drei Metern konnte ich mir noch eine Hose mit passendem Oberteil nähen lassen.
Mädchen und Frauen tragen Pagne als Kleid in den unterschiedlichsten Modellen oder als Rock um die Hüften gewickelt (es gibt eine spezielle Steckmethode, die bombenfest sitzt), dazu entweder ein T-Shirt/ Top etc. oder ein aus dem selben Stoff geschneidertes Oberteil, genannt “Boubou”. Die Männer (und natürlich auch Frauen) tragen maßgeschneiderte Hosen und Oberteile aus dem selben Stoff. Neben Pagne werden auch Jeans usw. getragen, jeder wie sie mag
Freizeit
Samstags mache ich morgens meine Wäsche per Hand. Den restlichen Tag ruhe ich mich aus, lese oder sitze draußen auf der Restaurantterrasse und schreibe Tagebuch. Sonntag morgens mache ich Sport. Jeden Mittwoch kommt eine Zirkusgruppe bestehend aus jungen Männern Mitte 20 ins Centre, um mit den Kindern Sport zu machen. Vor ein paar Wochen haben sie mich zu Ihrem Training eingeladen, an dem ich gerne teilnehme. Wir treffen uns um 8 Uhr am Strand, der um diese Zeit nur so von Sportgruppen wimmelt.
Das letzte Mal haben wir uns erstmal in einen Kreis gestellt, uns an den Händen gefasst und das Vaterunser gebetet. Das war ein sehr schöner, aber für mich natürlich auch etwas absurder Moment. Er verdeutlicht gut, wie sehr der (christliche) Glaube Teil des Alltäglichen ist, auch für junge Menschen.
Grade lerne ich Jonglieren, und werde manchmal in Pyramiden eingebaut. Ich fühle mich sehr wohl in der Gruppe, obwohl ich das einzige Mädchen bin. Danach gehe ich mit Mémé und Pépé in die Kirche (s. “Religion”). Nachmittags treffe ich mich oft mit anderen Freiwilligen in einer Bar am Strand.
Kleiner Exkurs zur Fortbewegung
Das Hauptfortbewegungsmittel sind hier Motorradtaxis, sogenannte “Zemidjans”, kurz “Zem”. Man erkennt sie daran, dass ihre Fahrer (ausschließlich Männer) gelbe Hemden tragen. Wenn ich zum Beispiel zum Supermarkt oder zur Beach Bar möchte, laufe ich mit meinem Motorradhelm Richtung nächste größere Straße. Sobald ich ein freies Zem entdecke, rufe ich “Käkänon!” (= Zem auf Fon) und winke ihn zu mir. Nachdem ich ihm mein Ziel gesagt habe, wird der Preis verhandelt. In der Regel zahle ich unter einem Euro für die Strecken zwischen 5 und 15 Minuten.
Ich fahre sehr gerne Zem, auch wenn es nicht immer ganz ungefährlich ist. Der Straßenverkehr ist nämlich ein einziges Chaos, niemand hält sich an Verkehrsregeln. Wenn man als Fußgänger*in eine große Straße überqueren will, wartet man eine Verkehrslücke ab und schreitet dann mutig voran, die Hand Richtung herankommenden Autos ausgestreckt, um ihnen zu signalisieren, dass sie anhalten sollen.
Mein Viertel und ich
Das besondere am beninischen Alltag ist das Fehlen jeglicher Anonymität. In meinem Viertel gibt es eine Menge Läden: Schneidereien, Frisörläden, kleine Einkaufsläden… Im Unterschied zu Deutschland geht man allerdings nicht durch eine Tür in einen geschlossenen Raum – alles findet draußen auf der Straße statt, oder zumindest bei weit geöffneten Türen. Auf dem Hinweg zur Schule komme ich an unserem Frisörladen vorbei, wo Mémé und ich uns die Haare flechten lassen. Die Töchter der Frisörin fegen um diese Uhrzeit die Terrasse vor dem Eingang und bereiten alles vor.
Ein paar Schritte weiter um die Ecke sitzt die Brotverkäuferin, die vor ihrer Hoftür am Straßenrand Brot und Brioche verkauft. Direkt dahinter bereitet eine Frau Akassar zu (spezielle Art und Weise des Pate, etwas fester und säuerlicher). Auf der anderen Straßenseite ist ein kleiner Laden, dessen Produkte draußen auf Tischen und Regalen stehen: Parfüm, Obst, Gemüse, Klopapier… Eine Straßenecke weiter, schräg gegenüber des Centres, hat ein Schuhreparateur seinen Stand.
An all diesen Menschen laufe ich mehrmals täglich vorbei. Wir grüßen uns jedes mal und tauschen uns kurz aus: “Et ce matin?” – Wie geht es dir an diesem Morgen? Auf meinem Rückweg lauf ich auf der anderen Seite des Blocks zurück. Dort komme ich an einem weiteren Frisörladen vorbei, einem Schneider, der draußen am Straßenrand an seiner Maschine sitzt, und einem Einkaufsladen, bei dem ich meine Seife kaufe.
Die Mädchen des Frisörladens kennen mittlerweile meinen Namen. Gestern haben sie angefangen auf Fon zu singen “Da kommt Elisabeth”, als sie mich entdeckten. Der Schneider fragt mich jeden Abend “Tu as fait un peu?” bzw. auf Fon “Ablo pedea?”. Das ist die ultimative Smalltalk-Formel für den Abend. Auf Deutsch übersetzt heißt das: Hast du Hunger? Darauf antwortet man immer mit “Oui” bzw. “ääh”, was Ja auf Fon bedeutet. Die Verkäuferin des Einkaufladens grüße ich in beninischer Manier mit “Bonsoir Maman”. Diese täglichen Interaktionen geben mir das Gefühl, angekommen zu sein und angenommen zu werden.
Klima, Gesundheit & Sicherheit
Hier im Süden Benin sind die Temperaturen das ganze Jahr über sehr stabil. Tagsüber hat es 30 Grad, nachts 25. Jedes Mal, wenn ich aus dem klimatisierten Supermarkt oder Krankenhaus rauskomme, ist die schwüle Hitze kurz ein Schock, innerhalb von Sekunden nehme ich sie aber nicht mehr war. Tatsächlich ist es sehr viel angenehmer, als ich dachte. Jeder Körper ist da in der Anpassung natürlich unterschiedlich. Manche Freiwillige können nur mit einem Ventilator nachts schlafen, ich nehme das leichte Schwitzen in Kauf. Die Sonne knallt schon sehr hinunter, aber dafür gibt es ja zum Glück Sonnenhüte. 🙂
Gesundheitlich geht es mir sehr viel besser als erwartet. Ich war bis jetzt nur zwei Mal beim Arzt, einmal wegen Ohrenschmerzen, einmal wegen einer Infektion. Allerdings bin ich sehr oft erschöpft. Wenn ich abends von der Arbeit nach Hause komme, esse ich zu Abend und lege mich dann meistens gleich schlafen, weil ich nicht in der Lage bin, noch irgendwas zu machen. Acht Stunden am Tag mit Kindern zu arbeiten verlangt mir einiges ab und besonders der hohe Lärmpegel setzt mir zu.
Ich fühle mich grundsätzlich sicher, wenn ich alleine unterwegs bin. Tagsüber sollte man nur den Strand meiden, weil dort die größte Gefahr besteht, ausgeraubt zu werden. (Das gilt nur für unter der Woche, am Wochenende ist der Strand belebt und gefahrenfrei.) Unsere Partnerorganisation schreibt uns eine Curfew von 19 Uhr vor, weil es ab 19 Uhr dunkel ist. Nachts ist es durchaus gefährlicher, grade für Fußgänger, die von Zem-Fahrern leicht übersehen werden können.
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