Familie Neuhaus verbindet eine lange Geschichte mit Experiment: Bereits 8 Gastschüler und internationale Studierende hat sie bei sich zuhause aufgenommen. Und auch die 4 Kinder der Familie haben alle nacheinander einen Schüleraustausch mit uns gemacht. Wir haben mit Anja und Torsten Neuhaus über ihre Austausch-Erfahrungen gesprochen. Denn wer 8-mal Gastfamilie war, hat sicher einiges zu berichten!

Inhaltsverzeichnis

Der Weg zu Experiment

Wie sind Sie auf Experiment aufmerksam geworden?

8-mal Gastfamilie

Frau Neuhaus: Ich arbeite an einer Universität und habe damals über einen studentischen Verteiler eine E-Mail bekommen, in der Gasteltern für internationale Studierende gesucht wurden. Als unser ältester Sohn dann 14 oder 15 wurde und ein Schüleraustausch interessant wurde, habe ich mich an Experiment erinnert und mir die Webseite angesehen. Wir sind anschließend zu einer Bildungsmesse gefahren, waren am Stand von Experiment und beide Kinder, die dabei waren, waren direkt überzeugt.

 

4-mal Schüleraustausch mit Experiment

Das heißt, Ihre erste Erfahrung mit uns war also die Ausreise. Wo sind Ihre Kinder denn hingegangen?

Frau Neuhaus: Der erste ist nach Costa Rica und der zweite nach Südafrika gegangen. Der dritte ging dann später nach Kanada und Nummer vier ist gerade in Irland. Also vier verschiedene Kontinente.

 

Spannend! Normalerweise ist die USA unser beliebtestes Ziel, aber so konnten Ihre Kinder viele verschiedene Kulturen entdecken.

Frau Neuhaus: Ja, das Entdecken ist der entscheidende Punkt und das steht und fällt mit den Menschen. Das kann man gar nicht pauschalisieren: „Eine Kultur ist so und deshalb sind alle so.“ Die Familien und Menschen machen letztendlich den Unterschied.

Herr Neuhaus: Sprachlich ist es natürlich auch eine Bereicherung, wenn man in ein nicht-englischsprachiges Land geht. Aaron hat aus Costa Rica wirklich sehr gute Spanischkenntnisse mitgebracht! Bei den anderen ist es aber dann doch irgendwie immer englisch geworden.

Frau Neuhaus: Nummer 2 und 3 habe ich massiv Richtung französisch beraten und bin gescheitert. Im Nachhinein hat auch Sander gesagt, das wäre eigentlich schon cool gewesen, in ein Land zu gehen, wo man nicht so gute Sprachkenntnisse hat, aber die Erkenntnis kam jetzt etwas spät. Aber das kann man ja immer noch alles lernen.

 

Die Entscheidung, selbst Gastfamilie zu werden

Und wie sind Sie dann auf die Idee gekommen, selbst Gastfamilie zu werden? Was war die Motivation dahinter?

Frau Neuhaus: Wie viele andere habe ich natürlich zuerst gedacht: Das passt nicht. Das Haus ist voll und wir arbeiten Vollzeit, das macht keinen Sinn. Dann bin ich allerdings zur Elterninformation im Rahmen des Vorberereitungsseminars von Aaron gegangen und habe da gehört, dass das das typische Argument der Deutschen ist. Ich glaube, es hieß damals, es gehen mehr als 17.000 Deutsche ins Ausland, aber keine 3.000 ausländische Schüler*innen kommen hierher. Es gibt also eine wahnsinnige Diskrepanz und dann dachten wir uns: Wir wünschen uns ja auch für das eigene Kind eine tolle Gastfamilie und eigentlich haben wir den Platz!

Herr Neuhaus: Als Aaron nach Costa Rica ging, war ja nun ein Raum frei!

 

Wie haben Sie die Entscheidung, Gastfamilie zu werden, innerhalb der Familie gefällt und kommuniziert?

Frau Neuhaus: Wir haben die Idee erst mal ganz grundsätzlich mit den Kindern besprochen. Das war ein relativ langer Prozess und wir haben uns auch die aktuellen Gesuche immer gemeinsam angeschaut. Da war es dann häufiger mal so, dass ich zum Beispiel jemanden super fand, zwei andere haben aber gesagt: Nee, finden wir nicht so gut. Dann ist es eben so und es wird weiter geschaut. Alle müssen einverstanden sein.

 

Wie waren denn die ersten Erfahrungen als Gastfamilie?

Frau Neuhaus: Unsere ersten Erfahrungen waren gar nicht nur positiv. Unser erster Austauschschüler aus den USA hat nicht richtig zu uns gepasst. Es war aber trotzdem ganz schön, sich mit jemandem auszutauschen, der ganz anders über Dinge nachdenkt.

Herr Neuhaus: Damals hatten wir die Idee, dass es sinnvoll ist, wenn wir jemanden aufnehmen, der nicht so ist wie wir, also ganz andere Interessen hat. Wir machen selber viel Sport, schauen viel Sport im Fernsehen und solche Sachen und hatten dann jemanden, der künstlerisch veranlagt war und dachten im ersten Moment, das wird beide Seiten bereichern. Mittlerweile achten wir darauf, dass die Interessen doch sehr ähnlich sind. Das funktioniert für uns besser.

Frau Neuhaus: Danach haben wir immer mal wieder auf der Webseite geschaut, wen es da noch so gibt. Beim nächsten Gastschüler hatten wir von Anfang an ein sehr gutes Gefühl und das hat sich dann komplett bestätigt. Mit ihm war die Erfahrung ein Riesenspaß und er hat jede Minute genossen, was ihm das Leben hier geboten hat.

Herr Neuhaus: Ja, er war leider dann nur ein halbes Jahr hier. Bevor das mit den Austauschschülern losging, hatten wir auch schon Erfahrungen mit Au Pairs, das hat natürlich auch geholfen. Ich merke das immer, wenn ich mit Arbeitskolleg*innen spreche, dass viele sich gar nicht vorstellen können, dass eine fremde Person mit im Haushalt lebt. Für uns und auch für die Kinder ist das mittlerweile schon normaler Alltag, immer neue Leute kennenzulernen.

 

8-mal Gastfamilie: Kulturaustausch in den eigenen 4 Wänden

Wie oft waren Sie jetzt schon Gastfamilie?

Frau Neuhaus: Also der 6. Gastschüler ist gerade da, außerdem 2 Studierende – auf den Zug sind wir dann auch noch aufgesprungen, das war toll! Das ist auch beide Male aus einer spontanen Sympathie heraus entstanden. Das Programm geht ja nur 2 Wochen und da ist die Hemmschwelle niedriger. Zu dem, der letztes Jahr Ostern bei uns war, halten wir auch regen Kontakt und sehen uns immer mal wieder. Das ist eine ganz tolle Sache!

 

Wie viele unterschiedliche Kulturen haben Sie durch die Zeit als Gastfamilie schon kennengelernt?

Frau Neuhaus: USA, Mexiko, Brasilien, Argentinien, Italien, China und Costa Rica. Außerdem hatten wir ein Au Pair aus Kolumbien.

Herr Neuhaus: Man merkt auch schon die verschiedenen Mentalitäten, auf die man sich einlassen muss. Das ist zwar nie besonders stark kollidiert, aber zum Beispiel an die Vorstellung von Zeit und Pünktlichkeit muss man sich erstmal gewöhnen. Das ist immer ein gegenseitiges Entgegenkommen.

Frau Neuhaus: Da fällt mir zum Beispiel der letzte Austauschschüler aus Brasilien ein, von dem wir gelernt haben: In Brasilien gibt es kein nein. Wenn man fragt: „Wollen wir heute essen gehen?“ gibt es kein „Nö. Möchte ich nicht.“ Man sagt stattdessen: „Ja, könnte man machen.“ Das heißt, wir hören daraus ein ja, er meinte aber eigentlich nein. Das hat eine Weile gedauert, bis wir uns eingependelt haben. Solche Dinge lassen sich nur durch gute Kommunikation lösen.

 

Der Umgang mit Differenzen und Tipps für zukünftige Gastfamilien

Wie sollte man Ihrer Meinung nach mit Problemen umgehen? Haben Sie Tipps für neue Gastfamilien?

Frau Neuhaus: Das Hauptproblem ist oft, dass man Dinge nicht anspricht, vielleicht auch aus einem falsch verstandenen Gefühl, dass das Gegenüber die Sprache und Kultur eben nicht kennt. Aber man sollte Probleme früh ansprechen. Auch super ist das Gastfamilienhandbuch, das man zu Beginn gemeinsam ausfüllt, wo man auch Regeln und Erwartungen erläutert. Das hört sich vielleicht für viele negativ an, wenn man von Regeln, Erwartungen und Grenzen spricht, aber das ist wirklich wichtig und gibt jungen Menschen auch Halt.

Außerdem ist es wichtig, dass man nicht zu lange im Englischen bleibt. Denn dadurch nimmt man dem Austauschschüler oder der Austauschschülerin ganz viel Integrationsanstrengung, die man stattdessen selbst hat und das verschiebt das Verhältnis. Genau, wie ich für meine Kinder eine Mutter bin und keine Freundin, bin ich das auch für unsere Austauschschüler. Natürlich will ich gemocht werden, aber ich bin eben die Gastmutter und das Verhältnis muss klar sein.

Herr Neuhaus: Ein Tipp, den wir konsequent umsetzen ist, dass die Gastschüler nicht auf die gleiche Schule gehen wie unsere Kinder. So vermeiden wir, dass derjenige monatelang den eigenen Kindern hinterherläuft, sondern

sich einen eigenen Freundeskreis aufbaut. Wenn man die Möglichkeit hat, ist das für alle Seiten eine Chance. Für die Kinder ist es so keine Belastung und auch der Gast kann viel freier sein und steht nicht unter ständiger Beobachtung.

 

Gibt es einen weiteren Tipp, den Sie teilen möchten? Vielleicht etwas, was Sie sich selbst am Anfang gefragt haben?

Herr Neuhaus: Wir haben uns am Anfang immer gefragt: Wie machen wir das, wenn wir in den Urlaub fahren? Meistens nehmen wir die Gastkinder mit, das gehört für uns im Zweifel dazu, aber einmal hatten wir schon einen Urlaub gebucht und konnten den Gastschüler nicht mehr mitnehmen. Und da macht Experiment es ja zum Glück möglich, dass Gastkinder in Ferienfamilien gehen. Bei uns war das über die Weihnachtsferien und für unseren Gastschüler ein unheimlicher Gewinn. Denn er landete praktisch in einem Skigebiet, wo er Ski gefahren ist und zwei super Wochen verbracht hat. Das hätte er mit uns nicht tun können. Und er hat so auch nochmal neue Leute kennengelernt.

 

Kontakt halten zu den ehemaligen Gastkindern

Inwiefern halten Sie zu den ehemaligen Gastkindern und Studierenden noch Kontakt?

Frau Neuhaus: Wir haben eine WhatsApp-Familiengruppe und alle, die jemals hier waren, wandern da rein. Wir schicken außerdem zu Weihnachten Pakete rund um die Welt, die kommen manchmal an, manchmal nicht. Es ist nicht unbedingt so, dass man regelmäßigen Kontakt hat, aber die ehemaligen Gäste tauchen oft, wenn sie hier in der Nähe sein, auf einmal wieder auf. Und würden wir zum Beispiel nach Mexiko fliegen, fänden wir es auch ganz natürlich, unserem ehemaligen Austauschschüler dort einen Besuch abzustatten. In Italien steht das jetzt tatsächlich an. Die Eltern unseres Gastschülers haben uns jetzt schon so oft eingeladen, dass wir gesagt haben, da fahren wir jetzt mal hin.

Und: Nur, weil man nicht miteinander redet, heißt es nicht, dass man nicht aneinander denkt.

 

Die schönsten Erinnerungen und warum es sich lohnt, Gastfamilie zu werden

Wenn Sie sich auf eine Situation festlegen müssten: Was, würden Sie sagen, war Ihr schönstes Erlebnis als Gastfamilie?

Frau Neuhaus: Ich glaube, das war das WM-Spiel Deutschland gegen Mexiko. Unser mexikanischer Gastschüler stand hier mit Tränen in den Augen und mit der Flagge über den Schultern und wir haben gemeinsam das Spiel geguckt.

Herr Neuhaus: Und dann hat Mexiko gewonnen!

Frau Neuhaus: Genau! Es kam dann ein Freund unseres Austauschschülers mit dem Motorrad vorbei, um mit ihm gemeinsam eine Tour durch die Stadt zu machen. Denn es gab hier natürlich keinen Autocorso, aber die zwei sind dann losgefahren. Das sind so Momente, die wirklich schön sind! Auch zu sehen, dass er Freunde gefunden hat, die bereit waren, so etwas mit ihm zu machen. Wir hatten außerdem alle Trikots aus ganz unterschiedlichen Ländern an, die wir alle mal geschenkt bekommen hatten und waren eine ganz bunte Trikot-Gruppe. Das war ein sehr, sehr netter Moment!

 

Warum würden Sie sagen, war es für Sie ein Gewinn, so oft Gastfamilie zu sein?

Frau Neuhaus: Man gewinnt durch die Erfahrung absolute Offenheit gegenüber kulturellen Unterschieden. Denn auch wenn man, wie ich, beruflich mit vielen unterschiedlichen Kulturen zu tun hat und Kolleg*innen aus über 20 Ländern, ist es nochmal etwas ganz anderes, mit jemandem zusammenzuleben und sich intensiv auszutauschen. Durch das Zusammenleben mit Austauschschüler*innen lernt man ganz schnell: Es gibt viele unterschiedliche Wege und Lebensformen und man hinterfragt viel mehr.

Außerdem hat man einen gewissen Freizeiteffekt! Man hat immer jemanden, der mit einem Spiele spielt und man unternimmt auch viel mehr Ausflüge, denn man möchte ja jemandem Deutschland zeigen. Und das ist einfach schön!

Herr Neuhaus: Und wir füllen dadurch mittlerweile auch das Haus ein bisschen auf. Der Älteste ist bereits ausgezogen und der zweite war gerade auch wieder ein halbes Jahr im Ausland. Und so bleibt das Haus belebt.

 

Und in Bezug auf die eigenen Kinder: Haben Sie das Gefühl, dass die Erfahrung als Gastbruder oder Gastschwester für Ihre Kinder auch eine Motivation waren, ins Ausland zu gehen? Hat es die Entscheidung erleichtert?

Frau Neuhaus: Dazu kann Jasper eigentlich selbst etwas sagen.

Jasper: Ja, ich war letzten Jahr in Kanada und ich glaube, ich wäre wahrscheinlich nicht ins Ausland gegangen, wenn wir hier niemanden gehabt hätten, weil es für mich ein zu großer Schritt gewesen wäre, mich dafür zu entscheiden. Dadurch, dass wir schon Gastfamilie waren, wusste ich, wie schön das sein kann und welche Erfahrungen man sammeln kann und das war schon eine sehr große Motivation.

 

Warum sollte man Ihrer Meinung nach das „Experiment Gastfamilie“ wagen?

Frau Neuhaus: Um frischen Wind in die Familie zu bekommen, um das eigene Leben zu hinterfragen, wertschätzen zu lernen und sich ganz allgemein Dingen zu öffnen.

Herr Neuhaus: Das öffnet auch das Tor in die Welt! Man kann aus der Ferne ein Land kennenlernen. Denn wer in die Familie kommt, bringt auch viel aus der eigenen Heimat mit. So legt man dann für eine Weile den Fokus auf ein bestimmtes Land und lernt ganz viel Neues! Und auch für die eigenen Kinder ist das eine unheimliche Bereicherung und rückt die eigene Welt ein wenig zurecht.

Vielen Dank für das schöne Interview!

Übrigens: Auch in unserem Podcast lassen wir hin und wieder Gastfamilien zu Wort kommen. In Folge 23 von “Austauschzeit” beschreibt Gastschwester Merve ihre Erfahrungen als Gastschwester. Jetzt hier reinhören!

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