Zu dem Zeitpunkt als wir uns als Familie entschlossen hatten zum ersten Mal einen Gastschüler aufzunehmen, war unsere Hauptmotivation, dass wir etwas zurückgeben wollten, etwas gutmachen wollten. Unsere älteste Tochter verbrachte ein Highschool-Jahr in Kanada (noch mit einer anderen Organisation, die privatwirtschaftlich arbeitet) und uns war klar, ohne Gastfamilien ist sowas nicht möglich.

Wir entschieden uns für eine neue Austauschorganisation, die gemeinnützig tätig ist und informierten uns über die Gründung von Experiment und über die Aufgaben und Tätigkeiten des Vereins. Wir kamen übereinstimmend zu dem Entschluss, dass wir es hier mit einer vertrauenswürdigen Einrichtung zu tun haben. Unseres Erachtens ist das für Gastfamilien genauso wichtig wie für die nationalen und internationalen Gastschüler*innen.

Entscheidung, Gastfamilie zu werden, fällt auf gemeinnützige Austauschorganisation

Wir meldeten uns also als Gastfamilie an und bekamen ein mehrseitiges Formular, in dem wir Angaben über uns, unsere Wohnsituation, unsere Motivation, unsere Interessen u.a. machen mussten. Vorne darauf kam noch ein nettes Familienfoto von uns, um unserem zukünftigen Gastschüler direkt einen vertrauensvollen Eindruck zu geben.

Nachdem wir uns geeinigt hatten, dass es möglichst ein Junge im Alter unseres Sohnes sein sollte, bekamen wir von Experiment drei Vorschläge von Kandidaten. Das ist uns echt schwergefallen. Man denkt doch auch daran, ob die beiden anderen wohl auch eine Familie bekommen werden. Außerdem ist es auch nicht ganz einfach anhand von schriftlichen Unterlagen zu entscheiden, wer wohl am besten zu uns passen könnte.

Nach Tagen der Überlegung entschieden wir uns dann für Lorenzo aus Italien. Uns hatte seine Art beeindruckt, sich – durchaus kritisch – zu reflektieren, was für einen so jungen Menschen sicherlich nicht immer ganz einfach ist. Dennoch wollten wir zunächst auf Nummer sicher gehen und erstmal nur bis Januar Gastfamilie sein. Ein ganzes Jahr schien uns doch zu riskant. Wir wollten erst Erfahrungen sammeln. Nachdem wir dann noch einen Besuch von einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin von Experiment bekommen hatten, konnte es losgehen.

Nach 6 Wochen: Kein Englisch mehr!

Am 5. September 2015 holten wir, sehr aufgeregt, Lorenzo vom Bahnhof ab. Auch wenn er etwas zurückhaltend wirkte, war er uns sofort sympathisch. Leider stellte sich schon im Auto auf dem Weg nach Hause heraus, dass seine Deutschkenntnisse nach 3 Jahren Unterricht in Italien nur rudimentär waren, sodass wir uns zunächst in Englisch unterhielten, was alle relativ sicher sprechen konnten. Für die erste Phase des Kennenlernens zwischen Gastschüler und Gastfamilie war das gar nicht so schlecht, allerdings war es später auch schwierig wieder davon wegzukommen und Deutsch mit ihm zu sprechen. Er wählte immer den leichteren Weg in Englisch. Bis wir ihm dann, nach ca. 6 Wochen, sagten, dass wir ab sofort kein Englisch mehr verstehen würden; wir hätten es über Nacht alle verlernt. Von da an wurde es schwierig für Lorenzo. Er musste sich nun nicht nur in der Schule mit Deutsch quälen, sondern auch zu Hause.

Das und die ganzen neuen Eindrücke müssen ihn sehr angestrengt haben, denn er war immer müde. Wir waren gut von Experiment vorbereitet worden und wussten, dass das kommt und auch, dass das nur eine Phase ist. Und so war es auch. Wir lernten mit ihm Vokabeln und er brachte uns etwas Italienisch bei. Mit der Zeit wurde es immer besser und es bestätigte sich mal wieder, dass junge Menschen so viel schneller eine neue Sprache lernen. In den Herbstferien fuhren wir alle zusammen in den Schwarzwald in den Urlaub. Wir hatten uns schon länger vorher überlegt, dass wir Lorenzo im Urlaub sagen wollten, dass er das ganze Jahr bei uns bleiben kann. Fast ein wenig feierlich teilten wir es ihm dann mit und schauten in verdutzte Augen. Ihm war von seiner italienischen Organisation gar nicht gesagt worden, dass wir ihn nur bis Januar behalten wollten. Durch unsere Entscheidung war das ja nun egal, aber wir stellten uns auch vor, wenn er es dann durch uns hätte erfahren müssen, dass er nochmal die Familie wechseln muss. Das wäre gar nicht schön gewesen.

Freundschaften zwischen Gastfamilie und Familie entsteht

Weihnachten kam schnell und wir verglichen die Adventszeit und die Feiertage mit Natale in Italia. Das war eine sehr schöne, harmonische Zeit. Lorenzos Eltern schickten uns zu Weihnachten eine Nudelmaschine, die wir zwischen den Jahren auch direkt nutzten, um Tortellini zusammen zu machen. Überhaupt hat sich unser Speiseplan stark bereichert, seit Lorenzo bei uns war. Im Kochen sind die Italiener einfach unschlagbar. Ein weiteres Highlight folgte dann im März. In Absprache mit beiden Austauschorganisationen und nach intensiven Gesprächen mit Lorenzo, besuchten uns seine Eltern, seine kleine Schwester und seine Großmutter. Wir waren etwas gespalten, was diesen Besuch anging. Einerseits freuten wir uns sehr darauf, Lorenzos Familie kennenzulernen, andererseits hatten wir Angst, dass es für ihn ein Einschnitt sein könnte und er danach Heimweh bekäme. Er versicherte uns mehrfach, dass er sich bei uns so wohlfühlen würde, dass er gar nicht zurückwolle… Wir ließen uns also darauf ein. Und es war eine wunderbare Zeit, in der sich eine Freundschaft zwischen den beiden Familien entwickelte. Lorenzo war nach der Abreise ganz der Alte und alle waren glücklich.

In 10 Monaten an’s Herz gewachsen

Im Juli sollte es für unseren italienischen Sohn zurück nach Rom gehen. Je näher der Termin rückte, umso unglücklicher wurde er. Er wollte noch bleiben. Wir beschlossen also, dass wir ihn noch mit in unseren Urlaub nach Schweden nehmen und seine Familie ihn dort abholen würde. Nach einer letzten Woche mit Lorenzo kam dann auch seine Familie. Es gab einen wirklich tränenreichen Abschied an einem schwedischen See und dann… Leere…

Wir hatten noch eine Woche in Schweden, aber es war komisch. Wir waren nicht vollständig. Es hat einige Zeit gedauert, bis wir den Abschiedsschmerz überwunden hatten und wir waren sehr erstaunt darüber, wie sehr einem ein zunächst völlig Fremder in 10 Monaten ans Herz wachsen kann. Was für eine wunderbare Erfahrung!

Wir haben heute noch guten Kontakt zu der ganzen Familie und uns schon diverse Male gegenseitig besucht. Oder wir schreiben uns über What’s App, was allerdings vorwiegend die Mütter untereinander tun. Italienisch oder Deutsch ist nun kein Problem mehr. Alle haben etwas gelernt.

Mittlerweile studiert Lorenzo in Rom und wir überlegen, ob wir dieses Jahr vielleicht mal als Gastfamilie ein Mädchen aufnehmen. Es wird sicher ganz anders werden, manches vielleicht schlechter, anderes noch besser. Aber es wird bestimmt wieder spannend werden!

Zwischenzeitlich ist übrigens auch unser Sohn (Texas) und unsere jüngste Tochter (Irland) mit Experiment im Ausland gewesen. Wir haben also noch etwas gut zu machen :).

Du möchtest auch Gastfamilie werden? Dann bist Du bei Experiment genau richtig! Auf unserer Webseite findest Du alles rund ums Gastfamilie werden.

 

Kennst Du eigentlich schon Austauschzeit, unseren Podcast aus der Welt? Folge uns außerdem auf Instagram und TikTok, um nichts zu verpassen!