Coming Out im Austausch – Tipps von exqueeriment
Coming Out – Was ist das?
Als Abkürzung des englischen “coming out of the closet” (dt. Aus dem Schrank heraustreten) bezeichnet der Begriff die Selbstauskunft von queeren (LGBTIAQ+) Personen über ihre sexuelle oder romantische Orientierung oder ihre Geschlechtsidentität.
Coming Outs (in der Familie, bei Freund*innen, bei neuen Bekanntschaften, in Ausbildung, Studium, Job usw.) begleiten queere Personen ihr Leben lang. Besonders das erste Coming Out ist oft ein wichtiges Erlebnis für queere Menschen und ein Vertrauensbeweis für die Personen, denen sie sich anvertrauen.
Ein Coming Out im Austausch kann ein ebenso großer Schritt sein. Immerhin befindest Du Dich in einer ganz neuen Umgebung, mit unbekannten Menschen und ohnehin schon 1.000 neuen Eindrücken, die auf Dich einprasseln.
Um Dich bei einem möglichen Coming Out im Austausch zu unterstützen, haben wir von exqueeriment Tipps und Erfahrungsberichte zu dem Thema gesammelt.
Coming Out im Austausch – Tipps und Hinweise
Wenn Du queer bist und ein längerer Auslandsaufenthalt wie ein Schüleraustausch oder ein Freiwilligendienst bevorsteht, hast Du Dir sicher schon Gedanken dazu gemacht, ob und wie Du Dich outen möchtest. Aber auch wir haben ein paar Tipps und Hinweise für ein mögliches Coming Out im Austausch gesammelt.
Vor dem Austausch
So kannst Du Dich vorbereiten und im Vorfeld informieren:
– Schau Dir die gesetzliche und gesellschaftliche Lage in Deinem Wunschland auf den Seiten des Auswärtigen Amtes an. Unter “Reiseinfos” kannst Du Dir einen ersten Überblick verschaffen und schon vorab überlegen, wie wohl Du Dich vermutlich in Deinem Wunschland fühlen würdest.
– Erwähne in Deinen Bewerbungsunterlagen bereits Deine Identität, die dann mit Deinen weiteren persönlichen Angaben bei der Gastfamiliensuche bereits genannt wird. Das erleichtert es uns, Dich in einem sicheren Umfeld unterzubringen und Dich mit Menschen zusammenzubringen, die Dich akzeptieren, wie Du bist.
– exqueeriment (exqueeriment@experiment-ev.de) und die Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle sind als Ansprechpersonen für Dich da, unterstützen Dich und beantworten Deine Fragen sehr gerne. Sprich uns einfach an und erzähl uns von Deinen Sorgen und Wünschen bezüglich Deiner Identität und dem Umgang damit.
Im Ausland
Du bist in Deinem Gastland angekommen und fragst Dich, ob und wenn ja, wie Du Dich outen möchtest? Wir haben bei exqueeriment ein paar Tipps für Dich gesammelt:
– Niemand muss sich outen! Ein Coming Out im Austausch ist nicht nötig, wenn Du Dich nicht wohl damit fühlst. Es ist allein Deine Entscheidung, wem Du wie viel über Dich und Deine Identität erzählst.
– Leb Dich zunächst etwas in Deinem Umfeld ein, beobachte die Menschen um Dich herum und schau, wie wohl und willkommen Du Dich grundsätzlich fühlst.
– Sprich z.B. in einem Gespräch mal eine Serie oder einen Film mit queerem Kontext an, um die Reaktion Deiner Umgebung festzustellen. Es ist eine gute Idee, Dich erst einmal langsam an das Thema heranzutasten, wenn Du Dir noch nicht sicher bist, wie Dein Umfeld reagiert.
– Öffne Dich einzelnen Personen, denen Du vertraust.
– Bereite ein Gespräch vor, überlege Dir, was Du mitteilen möchtest und wie Du es sagen willst. Einen groben Plan im Kopf zu haben, kann Dir bereits etwas Sicherheit geben.
– Suche Dir queere Gruppen und generell Personen, bei denen Du Dich wohlfühlst. Ein Safe Space ist Gold wert!
– Es gibt nicht den einen Weg. Vertraue Dir selbst! Bleib sicher.
Erfahrungen unserer Teilnehmenden
Wie war es für andere queere Teilnehmende? Wir haben in den eigenen Reihen nachgefragt und 3 unterschiedliche Erfahrungsberichte für Dich.
Johannes (alle Pronomen), weltwärts Südafrika, 2017/18:
Ich hatte nie wirklich ein richtiges Coming Out, weder in Deutschland noch in Südafrika. Mit einzelnen Leuten kam es aber schonmal im Gespräch auf, dass ich zu der Zeit einen Freund hatte. Allerdings bin ich nicht überall offen damit umgegangen und habe schon überlegt, mit wem ich darüber reden möchte, ähnlich wie ich es davor auch in Deutschland gehandhabt habe.
Tatsächlich habe ich aber im Freiwilligendienst meinen ersten queeren Freundeskreis gefunden und Menschen kennengelernt, mit denen ich heute noch Kontakt habe.
Male (dey/deren), Schüleraustausch Costa Rica 2016/17, derzeit Erasmus in Lettland:
Coming Out im Ausland ist gar nicht immer so einfach, gerade weil ich mich daran gewöhnt habe, zu Hause ein sehr queeres Umfeld zu haben. Ich habe letztens mit einer Person gesprochen, die meinte, dass sie sich nicht unbedingt outen möchte, weil sie nicht gleich den Stempel “queer” aufgedrückt bekommen möchte und dass andere das als ersten oder einzigen Fakt über sie wissen.
Während ich das einerseits total nachvollziehen kann, ist es für mich doch nochmal sehr anders. Die Freundin, mit der ich gesprochen habe, ist queer, aber cis. Ich “muss” als nicht-binäre Person in neuen Räumen jedes Mal die Entscheidung treffen, ob ich misgendert werden möchte oder ob ich mich outen möchte.
In einem Kurs hier mussten wir in einer Vorstellungsrunde jeweils eine andere Person vorstellen. Und dementsprechend war der erste Satz, den ich zu einer mir komplett fremden Person gesagt habe, dass sie bitte “they/them”-Pronomen für mich benutzen soll. Eigentlich mache ich das nicht, dass ich mich gleich oute, bevor ich einschätzen kann, wie Menschen möglicherweise darauf reagieren. Aber jetzt im Seminar war das eine Situation, in der ich nur noch bedingt eine Wahl hatte.
Es hat keine*r komisch reagiert und der Dozent meinte, dass ihm Gender Studies ja auch wichtig seien, also habe ich mich relativ sicher gefühlt, dass das mit den richtigen Pronomen klappen könnte. Bis der Dozent dann unsere Gruppe zwei Wochen später als die “Ladies from Germany” aufgerufen hat …
Was mir geholfen hat, war mir queere Gruppen zu suchen. Es gibt eine Organisation hier, “Active Rainbow”, die sehr viele Veranstaltungen plant und auch wenn ich neue Leute kennenlernen in jedem Kontext schwierig finde, ist es immer schon mal einfacher, wenn ich weiß, dass ich in einen queeren Raum gehe. Dass ich nicht erstmal erklären muss, was nicht-binär heißt, wenn ich andere Personen mit Pride Buttons sehe. Wenn irgendwer in einem passenden Moment erzählt, “Hey, ich bin aroace.” und ich einfach “Same.” antworten kann, wenn alle Namensschilder mit Pronomen drauf tragen, ist das einfach ein schönes Gefühl.
Für mich schaffen queere Gruppen oft einen guten Ausgleich zu meinem nicht queeren (Uni-) Alltag und es ist sicherer, mich zu outen. Es ist absolut nicht alles perfekt, den Anspruch habe ich auch nicht. Mir hilft es, dass ich weiß, es gibt einen Ort, an dem ich “ich” sein kann und Leute sehen mich, so wie ich bin.
Teilnehmerin Schüleraustausch USA, 2015:
Ich würde empfehlen, Dir wirklich die Zeit zu nehmen, die Du brauchst. Einerseits mit den Menschen, die Du als erste Coming Out-Personen auswählst. Das finde ich mega wichtig, dass man in einem sicheren Umfeld ist und dass man den Personen vertraut. Andererseits finde ich es wichtig, dass Du Dich nicht so schnell wie möglich labeln musst. Du kannst es machen, wenn es Dir Sicherheit gibt, aber lass Dich nicht stressen, wenn das gerade einfach nicht möglich ist.
Wir sind alle einzigartig und da ist es voll okay, nicht in eine vorgefertigte Box zu passen. Wenn Du Dich jetzt mit einem Label wohlfühlst, dann kann sich das auch noch ändern und das ist auch okay. Jemand kann sich als lesbisch outen und später dann doch für sich herausfinden: Hey, ich glaube, ich bin eher pan oder bi – und das ist in Ordnung so!
Für mich selbst hat mir das Schreiben geholfen, als ich mit niemandem reden konnte.
Du hast Fragen? Melde Dich!
Uns ist es wichtig, dass Du Dich jederzeit sicher während Deines Auslandsaufenthaltes fühlst. Jede Reise, jedes Coming Out und jeder Weg dorthin sind einzigartig und nichts davon kann im Vorfeld genauestens geplant werden. Wir bieten Dir aber an, Dich auf Deinem Weg zu unterstützen: von den Vorbereitungen bis hin zu Fragen, die während Deines Auslandsaufenthaltes noch aufkommen. Sowohl exqueeriment als auch das Team der Geschäftsstelle sind für Dich da.
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