Gastmutter sein – Eine Gastmutter und Ehrenamtliche berichtet
Gastmutter sein ist für Edith Petzenhauser zum Alltag geworden. Denn die Ulmerin engagiert sich nicht nur seit vielen Jahren ehrenamtlich für Experiment. Sie nimmt auch regelmäßig zwei Gastkinder aus der ganzen Welt bei sich auf. Ihr Haus ist durch das Leben als Gastfamilie immer mit viel Freude und Austausch gefüllt. Im Interview erzählt sie davon, wie sie zu ihrem Ehrenamt als Betreuerin für Experiment kam, wieso sie Gastmutter ist und gibt Tipps für neue Gasteltern.
Ehrenamtliche Betreuerin und Gastmutter
Wie sind Sie Gastmutter und ehrenamtliche Betreuerin für Experiment geworden?
Während meiner 30er habe ich mir immer mehr gewünscht, Kinder zu unterstützen, die es nicht so leicht im Leben haben. Zum Beispiel in dem ich zu Hause einen ruhigen Hausaufgabenplatz anbiete.
Durch einen Flyer wurde ich auf eine Organisation aufmerksam, die Gasteltern für französische Schüler*innen suchte. Die Kinder machten für zwei Wochen Sprachferien in der Umgebung von Ulm. Ich meldete mich und wurde mit viel Freude als Gastmutter akzeptiert. Nach einem Jahr und einigen betreuten Schüler*innen später wurde eine Organisatorin für den Raum Ulm gesucht, da die vorherige ihren Posten abgegeben hatte. Zu den Aufgaben gehörten u.a. die Gastelternbetreuung, neue Gasteltern zu finden, Unterrichtsräume für die Schüler*innen aufzutreiben, Lehrer*innen zu finden und Freizeitprogramm für Nachmittage und Wochenenden zu organisieren und zu durchführen. Das habe ich zwei Jahre lang gemacht, bis es mir neben meinem Job zu viel wurde. Trotzdem war ich weiterhin als Gastmutter für diese Organisation aktiv.
Eines Tages erhielt ich einen Anruf einer mir bekannten Gastmutter, die ein Gastkind von “Experiment” aufnehmen wollte. Allerdings gab es im Raum Ulm keine Betreuerin. Da entschied ich mich, Betreuerin für “Experiment” zu werden.
Zum ersten längeren Gastkind-Aufenthalt bei mir kam es, als dringend Gasteltern gesucht wurden und ich direkt von “Experiment” angefragt wurde, ob ich nicht für mindestens sechs Wochen ein Kind aufnehmen könnte. Meine Tochter war damals erst nicht begeistert. Trotzdem nahm ich das Gastkind auf. Und aus den sechs Wochen wurde ein ganzes Jahr, das Thais aus Brasilien bei uns verbrachte.
Inzwischen habe ich schon einige Kinder bei mir zu Gast gehabt. Meine Tochter ist mittlerweile 27 Jahre alt und wohnt nicht mehr bei mir. Ich bin also eine “Single-Mum”. Ich organisiere den Haushalt mit den Gastkindern alleine bzw. mithilfe der Kinder und mit Unterstützung anderer Gastfamilien in der Umgebung, die durch die Betreuung fast zu Freund*innen geworden sind.
Man sagt oft „Es braucht ein Dorf um ein Kind großzuziehen“. Ich sage: „Es braucht Liebe, Toleranz, Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Kinder und Unterstützung von ein paar engagierten Freuden mit gleicher Einstellung!“
Wie waren ihre bisherigen Erfahrungen als Betreuerin und Gastmutter mit Experiment?
Als Ehrenamtliche für Experiment ging es damals mit der ersten Betreuung gleich in die Vollen. Zwischen der Gastschülerin und ihrer Gastfamilie hatte die Chemie nicht gestimmt und nach drei Monaten stand der erste Wechsel an. Valentina aus Ecuador kam dann bei einer befreundeten Familie in der Nähe unter und wir sind bis heute in Kontakt. Denn sie studiert mittlerweile in Berlin. Wenn ich vor Ort bin, treffen wir uns!
Über meine Erfahrungen als Betreuerin kann ich ehrlich sagen, dass es natürlich immer wieder nicht so einfache Situationen gibt, die sich aber meistens gut lösen lassen.
Mit meinen „eigenen“ Gastkindern habe ich bisher nur gute Erfahrungen gemacht. Woran das liegt? Vielleicht hatte ich ein bisschen Glück? Meine Tochter sagt aber auch: „Mama, du bist einfach cool und nervst nicht! Das kommt auch bei den Gastkindern gut an.“ Vielleicht hilft es auch, dass ich gerne und ganz gut koche und backe! Liebe geht durch den Magen und wenn man gut gegessen hat, hat man meist auch gute Laune.
Ein Gastkind bringt Freude und erweitert den Horizont
Warum sollte man Ihrer Meinung nach mindestens einmal ein Gastkind bei sich aufnehmen?
Es wäre schön, wenn jede Familie mindestens einmal ein Gastkind aufnehmen würde. Denn es bringt sehr viel Freude, erweitert den Horizont, lässt vielleicht auch die eigenen Kinder in anderem Licht erscheinen und kann wirklich eine Bereicherung für jede Familie sein. Vielleicht entdeckt man auch Talente bei sich und der Familie, die man vorher nicht kannte. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass ich so gut Englisch kann. Oder dass ich eine Problemlöserin und keine Problemsucherin bin. Ich löse schwierige Situationen am besten, wenn ich erstmal (falls möglich) eine Nacht drüber schlafe, um einen klaren Kopf zu bekommen. Man lernt sich selbst und sein Umfeld besser kennen, weil man aus dem gewohnten Ablauf ausbricht und einfach mal was Neues macht. Ein Gastkind zu haben, kann einem auch eine bessere Kenntnis der Umgebung, in der man lebt, gebe. Man macht Ausflüge und „Urlaub in der Heimat“ mit allem, was es zu entdecken gibt.
In meinem Umfeld habe ich viele Freund*innen, die sich nicht vorstellen können, mit jemandem, der nicht zur direkten Familie gehört, die Wohnung zu teilen. Die Voraussetzung ist, dass man das möchte. Denn es kann sein, dass es dadurch zuhause “anders” wird und vielleicht auch die eigene Ordnung etwas aus dem Konzept gerät. Es ist nicht jedermanns Sache, für „fremde“ Personen / Kinder Verantwortung zu übernehmen. Natürlich bedeutet es zusätzliche Arbeit oder manchmal Stress, den man ansonsten nicht hätte. Viele Menschen müssen ihr eigenes Leben organisieren, haben ein Platzproblem oder können es vielleicht finanziell nicht stemmen. Viele möchten „ihre Ruhe“. Ich höre oft: „Warum tust du dir das an? Du könntest es doch so ruhig und gemütlich haben.“
Dazu sage ich: Man muss ein stabiles Leben haben, um anderen Stabilität und eine angenehme Atmosphäre bieten zu können. Und eine gute Portion Idealismus, Optimismus, Toleranz, gute Nerven und ein großes Herz.
Wenn Sie auf Ihre Zeit als Gastmutter schauen, gibt es da einen besonders schönen Moment, den Sie mit Ihren Gastkindern erlebt haben?
Die schönen Momente kann ich gar nicht zählen! Da denke ich zum Beispiel daran, mit was für einer Freude die Gastkinder reagieren, wenn man ihnen ein besonderes Ereignis wie einen schönen Ausflug, ein gutes Essen oder ein kleines Extra bietet. Meine derzeitigen Gastkinder lieben Brezeln – ab und zu bringe ich ein-zwei zusätzlich mit. Dafür bekomme ich dann eine Umarmung, die ich gar nicht erwartet habe. Oder es sind die Momente, in denen ich merke, wie sprachlich der Knoten platzt oder in denen ich fröhliches Lachen durch mein Haus schallen höre.
Mit am schönsten war vielleicht, als eine meiner Gasttöchter, die jetzt in Würzburg studiert, mir gesagt hat, dass ich geholfen habe, ihren Traum zu erfüllen!
Am schönsten: Ein Junge, den ich eigentlich „nur“ betreut hatte, und der dann letztes Jahr für 8 Monate privat bei mir war, hat mir immer wieder erklärt, wieviel er mir tatsächlich verdankt, dass sich sein Leben durch mich zum Besseren verändert hat, und dass ich seine deutsche Mama bin.
Was haben Sie durch das Leben mit Ihren Gastkindern gelernt?
Ich bin (noch) cooler geworden. Ich habe gelernt, dass sich Probleme, die auf den ersten Blick groß erscheinen, mit kühlem Kopf und Kommunikation manchmal auch ganz einfach lösen lassen. Und dass bei mir immer noch ein Kind an den Tisch passt.
Ich habe auch gemerkt, dass man sich nicht um alles kümmern muss. Wenn man Vertrauen zu anderen Menschen bzw. Kindern hat, dann schaffen sie vieles selbst!
Und vor allem habe ich gelernt, dass klare Regeln und Ansagen das Leben erleichtern.
Vier ultimative Tipps für neue Gasteltern
Planen Sie Ihre Gastkinder nach deren Aufenthalt in ihren Heimatländern zu besuchen? Und sind Sie noch in Kontakt mit Ihren alten Gastkindern?
Da ich nicht gerne fliege, werde ich zum Beispiel meine Gasttochter in Brasilien nicht besuchen. Und generell bin ich nicht gerne länger bei jemandem zu Gast, da ich den Alltag nicht anstrengend machen möchte. Wenn ich reise, schaue ich mir sehr viel an und habe meine eigenen Pläne. Ergo: Ich bin lieber Gastgeberin als Gast. Aber wenn ich beim Reisen zufällig in der Nähe eines alten Gastkindes bin, und es grade passt, dann bleib ich auch mal drei Tage (wie z.B. bei einem ehemaligen Gastkind in der Bretagne) oder zu einem Treffen für ein paar Stunden (z.B. Berlin).
Mit meinen alten Gastkindern halte ich Kontakt über WhatsApp. Mit einigen mehr, mit anderen weniger, aber Weihnachtswünsche gibt es immer.
Im Allgemeinen würde ich aber sagen, die Gastkinder kommen eher wieder bei mir vorbei, und bringen sogar noch Freund*innen mit.
Welche ultimativen Tipps haben Sie für Eltern, die zum ersten Mal ein Gastkind aufnehmen wollen?
Machen Sie sich locker! Auch für das Gastkind ist diese Situation meistens das ersten Mal. Es kommen intelligente, interessierte, junge Menschen zu Ihnen, die vor allem eine gute Atmosphäre brauchen, in der sie sich weiterentwickeln können. Da braucht es kein frisch renoviertes Zimmer und kein eigenes Bad. Sauber und wohnlich sollte es natürlich schon sein. Viele Familien denken vielleicht auch, sie hätten einen Mehraufwand, weil sie zweimal Essen kochen müssen (mittags und abends) o.ä. Meine Empfehlung: Sprechen Sie mit den Kindern. Fragen Sie, wie es bei ihnen zu Hause gehandhabt wird. Dann erklären Sie, warum es bei Ihnen vielleicht nicht so geht. Außerdem können die Kinder sich auch selbst mal was aufwärmen oder Pasta kochen.
Achten Sie auf Toleranz und Akzeptanz! Bedenken Sie: Ihre eigenen Kinder erziehen Sie von Anfang an. Die wissen, wie Sie ticken! Und trotzdem funktioniert da nicht alles so, wie man es gerne hätte! Erwarten Sie also nicht, dass Ihre Gastkinder Sie schneller verstehen als Ihre eigenen, nur weil sie älter sind.
Ich empfehle: Versuchen Sie, cool zu bleiben! Und vieles mit einem Augenzwinkern zu sehen und auch mal zu lachen, wenn etwas schief geht.
Akzeptieren Sie die Gastkinder, wie sie sind. Denn jedes ist anders – das eine ruhig, das andere laut, das eine ordentlich, das andere unordentlich. Geben Sie einen gewissen Rahmen vor, und hoffen Sie, dass er eingehalten wird. Aber erzwingen kann man nichts.
Wichtig ist auch: Drücken Sie auch mal ein Auge zu (oder beide) – das Zimmer hat im Normalfall eine Tür, die man schließen kann. Und lassen Sie das Gastkind auch einfach mal in Ruhe, wenn es die vielleicht braucht. Erinnern Sie sich einfach mal an Ihre Jugend! Hilfe und Unterstützung sollten Sie aber trotzdem anbieten. Seien Sie nur nicht gekränkt, wenn Angebote ausgeschlagen werden. Es ist nicht persönlich gemeint. Seien Sie einfach da, wenn Sie gebraucht werden, aber schwirren Sie nicht dauernd herum.
Kommunikation ist das A und O! Erklären Sie Regeln in Ihrem Haus gleich zu Beginn des Aufenthaltes Ihres Gastkindes. Und dann nochmal ein bis zwei Wochen später (außer es wurde schon alles verstanden). Und vielleicht nochmal. Vermitteln Sie genau, was Ihnen wichtig ist! Fragen Sie aber auch nach, warum etwas für das Gastkind vielleicht schwierig zu verstehen ist. Erklären Sie auch, wie es Ihnen und Ihrer Familie geht – das Gastkind will Sie ja schließlich nicht stressen. Der Austausch und das Gespräch sind wirklich sehr wichtig! Ich schlage vor einen Spaziergang zu machen anstatt zum Beispiel etwas beim Essenstisch zu diskutieren.
Und am wichtigsten: Haben Sie keine Erwartungen – Weder an das Gastkind noch an das Zusammenleben! Es kommt sowieso anderes als man denkt.
Vielen Dank für das tolle Interview, Frau Petzenhauser!
Wenn Du auch ein Gstkind bei Dir aufnehmen möchtest kannst Du Dich auf unserer Webseite dafür melden. Offene Fragen kannst Du auch immer bei unseren kostenlosen Infoabenden stellen. Du willst noch mehr rund um das Thema Austausch erfahren? Dann hör gerne in Austauschzeit rein, unseren Podcast aus der Welt! Folge uns außerdem auf Instagram und TikTok, um nichts zu verpassen!
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