GastfamilieEin persönlicher Anfang

Wenn meine Mutter mir heute davon erzählt, muss ich oft schmunzeln: Mit 16 Jahren war angeblich ich derjenige in unserer Familie, der keine*n Austauschschüler*in bei uns aufnehmen wollte. Platz hätten wir gehabt – wir lebten in einem Einfamilienhaus in einer Kleinstadt, die Schule war in der Nähe und sogar ein Gästezimmer stand bereit. In meiner Klasse war damals ein Schüler aus den USA für ein Jahr, für den eine weitere Gastfamilie gesucht wurde. Für mich persönlich fühlte sich die Vorstellung, das eigene Zuhause zu teilen, damals aber befremdlich an. 

Heute denke ich darüber ganz anders. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst erwachsen und Vater geworden bin. Wir leben inzwischen zu dritt in einer Wohnung mit vier Zimmer, inklusive ständigem Heimarbeitsplatz für zwei Berufstätige – für mich und meine Frau. Der Platz ist also knapper. aber die eigentliche Frage ist ohnehin nicht nur räumlich: Habe ich die Offenheit, mein Zuhause, meinen Alltag und ein Stück weit auch mein Herz für jemanden zu öffnen, den ich noch nicht kenne? 

Diese Überlegung führt direkt zur eigentlichen Bedeutung von Gastfamilien – und warum sie der Kern des interkulturellen Austausches sind. 

Mehr als eine Unterkunft: Was eine Gastfamilie wirklich bedeutet 

Familie ist für viele die „Keimzelle der Gesellschaft“. Hier lernen wir, wie wir miteinander umgehen, wie wir Konflikte lösen, wie wir füreinander Verantwortung übernehmen. 

Wenn eine Familie beschließt, eine Austauschschülerin oder einen Austauschschüler aufzunehmen, bedeutet das mehr, als nur einen Schlafplatz bereitzustellen. Es heißt: 

Alltägliches zu teilen – vom Badezimmer bis zum Lieblingsessen.

Gewohnheiten und Werte sichtbar zu machen – auch solche, die uns sonst gar nicht auffallen.

Gemeinsame Routinen zu entwickeln und auch schwierige Situationen des Alltags zusammen zu bewältigen. 

Eine Gastfamilie ist also kein Ort, an dem nur „Dienstleistungen“ erbracht werden. Unterkunft, Verpflegung und einen Platz zum Wäschewaschen kann man kaufen – in einem Hotel, Boarding House oder über Plattformen für private Unterkünfte. Aber eine Gastfamilie kann man sich nicht kaufen. Sie entscheidet sich bewusst dafür, eine fremde Person in das Innerste des Familienlebens einzulassen – und das macht den Unterschied. 

Warum Gastfamilienaufenthalte kein Produkt sind

In Beschreibungen für Austauschprogramme taucht immer wieder die Erwartung auf, dass ein Auslandsjahr, -semester oder Term im Ausland wie ein fertiges Produkt seien: Wer bezahlt, könne sich alles nach Wunsch zusammenstellen – inklusive der perfekten Gastfamilie. Vielleicht mit Geschwisterkindern, am liebsten im gleichen Alter. Oder mit Hund, aber bitte ohne Katze. Auf dem Land? Lieber nicht, eher eine Stadt. 

Natürlich klingt das verlockend. Und ja, Organisationen versuchen, Wünsche so gut es geht zu berücksichtigen. Aber: Eine Gastfamilie ist kein Baustein in einem Katalog, den man ankreuzen kann. Sie ist keine Dienstleistung, sondern ein Geschenk. Denn Familien müssen bereit sein – räumlich, zeitlich, persönlich. 

Geld mag eine Rolle spielen, aber nie die entscheidende. Viel wichtiger ist die Lebenssituation: Gibt es Platz? Einen stabilen Alltag? Die Bereitschaft, das eigene Leben für eine gewisse Zeit zu öffnen? Nur wenn diese Fragen mit „Ja“ beantwortet werden, entsteht ein Zuhause auf Zeit, das diesen Namen verdient. 

Das Geschenk der Gegenseitigkeit 

Wer einmal in einer Gastfamilie gelebt hat, weiß: Man kommt nicht einfach „unter“, man wird aufgenommen. Das schafft Erlebnisse, die ein Leben lang bleiben – beim Gastkind ebenso wie bei der Familie. 

Viele unserer Ehemaligen Teilnehmer*innen sowie unserer Gastfamilien berichten, dass sich daraus Freundschaften entwickeln, die weit über die Austauschzeit hinausreichen. Manchmal bleiben die Kontakte über Jahrzehnte bestehen. Manchmal entstehen sogar Besuche in die andere Richtung, sodass das Familiennetzwerk über Kontinente hinweg wächst. 

Und vor allem: Werte wie Gastfreundschaft, Respekt und Weltoffenheit werden nicht theoretisch vermittelt, sondern praktisch gelebt. Der Gründer von Experiment, Donald B. Watt, drückte es so aus: “The home is the greatest educational institution in the world”. Kinder und Jugendliche lernen so, dass Vielfalt bereichert – nicht trennt. 

Fazit – ein Plädoyer für gelebtes Miteinander 

Gastfamilien sind das Herzstück des interkulturellen Austausches. Sie machen aus einem Auslandsprogramm mehr als ein Schulprojekt oder eine Reise: Sie machen es zu einer Erfahrung, die prägt, verbindet und Werte weiterträgt. 

Darum ist es wichtig, sich von der Vorstellung zu lösen, eine Gastfamilie ließe sich kaufen. Sie entsteht nicht durch Geld, sondern durch die Bereitschaft von Menschen, ihr Zuhause und ihr Leben zu teilen. 

Gerade darin liegt der wahre Wert. Denn wer einmal erlebt hat, wie aus Fremden Familienmitglieder auf Zeit werden, weiß: Dieses Geschenk ist unbezahlbar. 

Werden Sie Gastfamilie bei Experiment e.V.

Möchten Sie selbst Gastfamilie werden und Jugendlichen aus aller Welt ein Zuhause auf Zeit schenken? Dann finden Sie hier (Klick!) die aktuellen Steckbriefe von Ihrem potentiellen Familienmitglied auf Zeit. 

Gemeinsam können wir durch gelebte Gastfreundschaft Brücken bauen – zwischen Menschen, Kulturen und Generationen. 

 

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