100 Jahre gelebter Austausch – Drei Ehrenamtliche erzählen von Begegnungen, die verbinden
Was passiert, wenn sich drei langjährige Ehrenamtliche an einen Tisch setzen, die zusammen auf über 100 Jahre Engagement bei Experiment zurückblicken?
Es entsteht ein lebendiges Bild davon, wie interkultureller Austausch unser Leben bereichern kann – voller Überraschungen, Lachen, Nachdenklichkeit und echter Verbindung. Auf der Jahrestagung haben wir mit drei Menschen gesprochen, die über Jahrzehnte hinweg Gastfamilien waren, Schüler*innen betreut, Programme begleitet und ihre Türen für die Welt geöffnet haben: Iris Hollensen, die seit 23 Jahren aktiv ist und Ehrenmitglied von Experiment ist, Gunther Rausch, der sich seit 36 Jahren engagiert, sowie Ute Walla, die seit beeindruckenden 48 Jahren Teil von Experiment ist.
Wie alles begann
Alle drei kamen auf ganz unterschiedliche Weise zu Experiment – doch eines verbindet sie: Die Neugier auf andere Kulturen und die Lust, jungen Menschen ihre Tür zu öffnen.
Ute Walla erinnert sich: „Ich war vor 60 Jahren Austauschschülerin in Michigan, bin 1965 zurückgekommen und hatte dadurch schon eine gewisse Affinität zum Austausch. Später hatte ich eine Englischklasse, und als wir über Amerika sprachen, sagten meine Schüler*innen, sie würden auch mal gerne eine*n Austauschschüler*in aufnehmen. Damals kannte ich Experiment noch nicht und habe an das Amerikahaus in Frankfurt geschrieben. Die verwiesen mich an Experiment und so kam alles ins Rollen.“
Auch Gunther Rausch fand über persönliche Kontakte zur Organisation: „Wir hatten eigentlich den Kontakt bekommen durch eine Familie in Kassel. Wir betreuten schwerpunktmäßig afrikanische Deutschlehrer*innen. Später kamen dann auch südamerikanische Studierende hinzu, die Vorkurse machten, um an einer deutschen Uni zu studieren. Heute habe ich noch Kontakt zu einigen von ihnen. Ich habe später über 40 Schüler*innen betreut – aktuell auch wieder einen PPP-Schüler.“
„Wir haben 32 Gäste bei uns aufgenommen – und waren auf Hochzeiten in Tunesien, China und den USA.“
Was aus einer kleinen Idee entsteht, kann das ganze Leben verändern. So war es bei Iris Hollensen: „Unsere Tochter war damals sieben Jahre alt und hat sich eine große Schwester gewünscht. Sie war selbst die Große, aber wollte eine Größere haben. Dann haben wir gesagt: Dann besorgen wir dir eine große Schwester. So sind wir Gastfamilie geworden und seit 23 Jahren dabei. Das hat unser Leben total bereichert.“
Diese erste Begegnung war der Anfang einer langen Reise mit 32 Gästen im eigenen Zuhause:
„Wir sind zu vier Hochzeiten eingeladen worden – in die USA, nach Tunesien und China. Drei davon haben wir besucht. Und viele unserer Gäste haben uns mehrfach besucht. Das ist einfach eine riesige Bereicherung fürs Leben.“
Auch Ute Walla blickt mit einem Schmunzeln auf besondere Einladungen zurück: „Bei einer afrikanischen Hochzeit in Brüssel war ein Kongolese, der schon drei Kinder hatte, und dann seine Frau kirchlich heiratete. Die Trauung sollte um 15 Uhr sein, aber um 14:30 Uhr saß er noch im Wohnzimmer und bügelte sein Hemd.“
„Die Welt zu uns nach Hause holen“
Statt in die Ferne zu reisen, entscheiden sich viele Ehrenamtliche, die Welt ins eigene Zuhause einzuladen:
Gunther Rausch: „Wir haben drei Kinder, hatten gebaut, und da war die große Weltreise nicht möglich. Also war der Gedanke: Lassen wir doch die Welt zu uns kommen.“
Ute Walla: „Unser erster Gast war auch aus Kamerun. Vorher haben wir erstmal auf der Karte nachgesehen, wo genau Kamerun liegt. Und als er aus dem Zug stieg, hatte man den Eindruck: Das klappt. Er war dann sechs Jahre später noch einmal bei uns – mit demselben Programm. Und das Schöne war: Er war 1979 bei uns und 1980 wurde unser drittes Kind, unser Sohn, geboren. Im selben Monat – zwei Wochen früher – bekam seine Frau eine Tochter. Und dann haben wir immer verglichen, wo der Entwicklungsstand ist.“
„Kurz vor Weihnachten durch die Kläranlage – das war ihr größter Wunsch.“
Was manchmal kurios klingt, bleibt für immer in Erinnerung. Gunther Rausch berichtet lächelnd über ein Erlebnis mit seiner Austauschschülerin: „Dann habe ich gefragt: Was möchtest du denn gerne machen? Ich bot Gemäldegalerie, Park, Stadt-Highlights an. Sie meinte: Kläranlage. Kurz vor Weihnachten! Ich habe dann jemanden gefunden, der sie durch alle Faultürme und Schächte geführt hat. Und sie war überglücklich.“
„Unsere Wahrnehmung hat sich verändert – heute sehen wir zuerst den Menschen.“
Der interkulturelle Austausch wirkt nicht nur auf die Gäste, sondern auch auf die Gastfamilien:
Gunther Rausch: „Unser erster Gast war eine Frau aus dem Senegal. Als sie bei uns ins Zimmer kam, verkroch sich unser jüngster Sohn unter dem Tisch – es war einfach zu fremd für ihn. Und heute? Wenn jemand aus Afrika oder China kommt, sehen wir den Menschen, das Gesicht, die Persönlichkeit – nicht die Hautfarbe.“
„Ich war bei 252 Betreuungen – und jede war anders.“
Im Laufe der Jahre entstehen viele Geschichten – manchmal herausfordernd, oft bewegend.
Gunther Rausch: „Ein Gast wollte alles über Rundfunk lernen. Ich habe ihn an unser Fernsehstudio vermittelt. So wird man als Betreuer auch herausgefordert. Darüber könnte ich viel erzählen. Jetzt ruft er regelmäßig an – inzwischen lebt er in Kanada.“
Auch kleine Erlebnisse können große Wirkung haben:
Iris Hollensen: „Wir hatten einen Gast aus Burkina Faso über Weihnachten da. Meine Tochter hatte Geburtstag und wollte mit ihren Freundinnen Schlittschuh laufen. Und das war das Größte für ihn. Nicht, dass wir Weihnachten mit ihm bei Oma und Opa an der dänischen Grenze waren und Hotdogs gegessen haben, sondern: Schlittschuhlaufen! Er sagte: ‚Meine Freunde glauben das nicht! Du musst Fotos machen!‘“
„Wir haben unsere Freizeit dem Weltfrieden gewidmet – und sind dafür einfach nur dankbar.“
Engagement bei Experiment e.V. bedeutet nicht nur Betreuung – es ist eine bewusste Entscheidung für Austausch, Verbindung und Frieden:
Iris Hollensen: „Wir sind total froh, dass wir unsere Freizeit für den Weltfrieden und die Völkerverständigung in den letzten 23 Jahren eingesetzt haben. Das ist einfach eine tolle Sache. Und unsere Tochter hat jetzt Brüder und Schwestern auf der ganzen Welt. Wir sind total happy, Teil dieser großen Familie zu sein.“
Auch Gunther Rausch sieht in der Gemeinschaft von Experiment e.V. etwas Besonderes: „Was ich bei Experiment besonders großartig finde: Der Verein verjüngt sich stetig. So viele begeisterte junge Leute – das ist im Vergleich zu anderen Vereinen, wo der Nachwuchs fehlt, ein ganz anderes Erlebnis. Es macht Freude, auch wenn wir heute zu den Ältesten gehören.“
Brücken, die ein Leben lang halten
Das Ehrenamt bei Experiment lebt von Geschichten wie diesen. Von offenen Türen, offenen Herzen – und Menschen, die etwas bewegen wollen. Was die Geschichten von Iris, Gunther und Ute deutlich machen: Austausch beginnt mit einer Begegnung – und endet oft in einer lebenslangen Verbindung.
Experiment baut Brücken, die ein ganzes Leben halten. Brücken zwischen Kulturen, Generationen und Lebenswegen. Diese Brücken stärken nicht nur den Zusammenhalt zwischen Menschen, sondern fördern gegenseitiges Verständnis, Toleranz und Frieden. In einer Welt, in der Polarisierung zunimmt, braucht es genau solche Begegnungen, die Grenzen überwinden und Nähe schaffen.
Denn interkultureller Austausch ist weit mehr als ein Programm. Er ist eine Haltung – und eine Investition in eine offene, empathische und friedliche Zukunft.
Danke für Euren Einsatz
Was wäre Experiment ohne Euch – unsere Ehrenamtlichen? Euer Engagement, Eure Zeit, Eure offenen Herzen sind das Fundament unserer Arbeit. Ihr gebt Austausch eine Seele – und macht unsere Vision von einer verständnisvolleren Welt überhaupt erst möglich.
Jede einzelne Begegnung, jede Betreuung, jede Geschichte ist Teil eines großen Ganzen, das Ihr mitgestaltet. Dafür möchten wir von Herzen Danke sagen. Ihr seid nicht nur Teil von Experiment – Ihr seid Experiment.
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